Der Mann, der das schafft, heißt Nick Brown, Gründer der Marken Nikwax (Imprägniermittel auf Wasserbasis) und Páramo (Outdoorausrüstung mit Wetterschutz). In Deutschland noch wenig bekannt, sind sie in heimischen England (Firmensitz ist Kent) seit Jahrzehnten im Geschäft, selbst die schottische Bergrettung vertraut auf Páramo. Die Produkte folgen einem strikten Nachhaltigkeitsanspruch: sortenrein aus Polyester, recyclelbar, zu 100% PFC frei und unterwegs mit Nadel und Faden zu reparieren. Unser Autor Ralf-Stefan Beppler hat Brown im Sommer 2016 auf der Messe OutDoor in Friedrichshafen getroffen. 

Ralf-Stefan Beppler: Nick, Du bist Chemiker, Besitzer zweier Outdoorfirmen, Vizepräsident der European Outdoor Conservation Association (EOCA) und bist gerne draußen unterwegs. Wie viele Stunden hat Dein Tag?

Nick Brown: Das ist wirklich ein Problem. Ich mache tatsächlich zu viel und würde das gerne ändern. Ich habe weiterhin viel Managementverantwortung und es wäre ideal, wenn ich die los würde. Aber wie in meisten Organisationen muss es jemanden geben der schlussendlich die Verantwortung trägt. Noch bin ich in der Position. Mein Interesse liegt mehr im Design, der Entwicklung und Umsetzung von Ideen.  

RSB: Findest Du noch Zeit um neue Ideen zu entwickeln?

NB: Jeden Donnerstagnachmittag gehe ich noch ins Labor, also mach ich jeden Donnerstag, was ich am liebsten mache. Da passt noch richtig viel. Jedesmal wenn ich raus zum Wandern komme, teste ich irgendwelche neuen Sachen.

RSB: Wie ist es mit Deinen Freunden. Gibt es da noch Themen, die mit Nikwax und Outdoor nichts zu tun haben?

NB: Auf alle Fälle. Meine Arbeit bleibt auf der Arbeit. Als Brite gibt es eine Menge große Themen über die man reden kann und muss, aber das würde hier den Rahmen sprengen und wäre eine Zeitverschwendung.

RSB: Trotzdem machst Du einen zufriedenen Eindruck mit Deiner Arbeit und der Verantwortung, die Du trägst.

NB: Ich genieße meine Arbeit wirklich. Es macht mir Spaß Ideen zu entwickeln und dann zu sehen, wie sie konkret werden, Realität werden. Das ist der Vorteil von einer eigenen Firma, weil man tatsächlich sieht, was man macht. Das gefällt mir. Was mir nicht gefällt sind administrative Aufgaben.

RSB: Normalerweise arbeitet ein Chemiker in einem Labor, versucht viel Geld zu verdienen und irgendwann den Nobelpreis für Chemie zu gewinnen. Wie bist Du in der Outdoor-Industrie hängengeblieben?

NB: Naja, als ich jünger war, war ich sehr undiszipliniert. Ich fand es sehr, sehr schwer konsequent zu studieren. Ich machte den ersten Abschluss den man machen konnte, um überhaupt weiter in dem Bereich arbeiten zu können – war was wir in England ein „Third Class Degree“ nennen – und der befähigt dich definitiv nicht dazu den Nobelpreis zu gewinnen. Die zweite „Qualifikation“ um was eigenes zu starten ist, dass man selber arbeitslos ist. Und drittens kommt hinzu, dass wenn du nicht gerne Anweisungen von anderen annimmst, sollte man was eigenes machen. Zusammen genommen hat es das ausgemacht.

RSB: Das beantwortet noch nicht die Frage. Noch mal, wie bist Du zu Outdoor gekommen?

NB: Ich bin ins Outdoor-Business eingestiegen, weil ich Imprägniermittel gemacht habe um meine eigenen Wanderschuhe zu imprägnieren. Raus gehen und Wandern war schon immer meine Leidenschaft und ich war viel in England und Schottland unterwegs und da regnete es viel und man bekam schnell nasse Füße. Also fing ich an, an der Lösung für mein Problem zu arbeiten. Damals war ich 15 Jahre alt. Als ich nach der Universität dann arbeitslos war, hatte ich schon sechs Jahre Erfahrung mit Wachsen. Freunde empfahlen mir dann, ich sollte meine Wachse verkaufen und das machte ich dann auch.

RSB: Stimmt es, dass Du in der heimatlichen Küche mit einem alten Wasserkocher, einem Primus Kocher und ein paar alten Pfannen und Töpfen angefangen hast?

NB: So ungefähr. Ich war ein ziemlich alternatives Individuum in jungen Jahren. Als ich mein Unternehmen anfing, wohnte ich in einer ziemlich heruntergekommenen Gegend in Nord-London. Ich hatte tatsächlich einen eigenen Primus-Kocher und dazu benutzte ich lauter Sachen, die ich sprichwörtlich auf der Straße fand.

RSB: Mitte der 70er gab es doch eigentlich genügend Lederwachse auf dem Markt. Was unterschied Dein Wachs?

NB: Das Problem war, dass die meisten Lederwachse, die für Wanderschuhe verkauft wurden, eigentlich für Sattel gemacht waren. Sie machten das Leder weich.  Und das ist das Letztes was Du willst für Deine Wanderschuhe. In Gesprächen mit Outdoorläden bekam ich schnell mit, was mit den Produkten, die es damals gab verkehrt war. Die wollten wissen, ob ich die besser hinbekäme. Das war es nicht schwer, was Neues zu machen.

RSB: Gibt es eine geheime Formel für Dein Wachs? Was hast Du geändert?

NB: Ja gibt es. Da wir das Ursprungsprodukt nicht mehr produzieren und es so lange her ist, kann ich sie sogar verraten. Der Clou war, dass wir im Originalprodukt viel weniger Schmierstoff und Öle benutzt haben. So hat das neue Wachs das Leder nicht so weich werden lassen.

RSB: Chemiker sind meist ganz versessen auf ihre Chemie. Warum hast Du versucht eine Linie zu entwickeln, die auf Wasser bassiert?

NB: Das erste Produkte, das ich entwickelte war ein Lederwachs. Das habe ich in einen Markt verkauft wo Pflegemittel alle auf Aerosolen aufbauten und mit Fluorgasen betrieben wurden. Das war schlecht für die Umwelt, vor allem für die Ozonschicht. Das wusste ich damals schon, also suchte ich nach Alternativen. Wasserbasis war eine gute Idee, aber es hat drei Jahren gedauert Wasserabweisung mit Mittel die auf Wasser bassierten hinzubekommen.

RSB: Gehörst Du zu den ersten Umweltschützern Englands?

NB: Ich bin sicher, dass es vor meiner Zeit schon Umweltschützer in England gab. Aber in unserem Geschäftsfeld, bei Pflegeprodukten, bin ich womöglich tatsächlich der Erste, der sich der Probleme mit Pflegeprodukten wirklich bewusst war.

RSB: Beweis dafür ist, dass Du nie PFCs benutzt hast. Woher wusstest Du so früh, wie gefährlich die sind?

NB: Wir kamen eigentlich nie in die Verlegenheit PFC zu benutzen. Wir sollten keine Lösungsmittel nutzen und wir wollten keine Treibmittel nutzen. Das waren unsere Prämissen. Die Idee wasserbasierte Produkte zu entwickeln war verlockend. Also haben wir hier geforscht und entwickelt. Wir haben eigentlich schon immer anders gedacht und experimentiert. Der Knackpunkt kam später, als die Marke 3M quasi übernacht ihr Scotchguard Imprägnierung vom Markt nahm. Da wurden wir hellhörig und wir fragten, „was ist hier los?“ Von meinen Forschungen wusste ich, dass PFCs persistent in der Umwelt sind, dass sie sich durch nichts abbauen lassen. Von meinen Lieferanten wollte keiner die Unbedenklichkeit von PFCs garantieren. Anfänglich sagten sie, es gäbe keine Probleme, aber Garantieen wollte keiner unterschreiben. Dann heiß es auf einmal „Nein“. Wir wollten einfach immer das Beste aus Sicht der Umwelt, daher war es ein glücklicher Zufall, dass wir nie in dem PFC-Geschäft drin steckten.

RSB: Gibt es funktionale Nachteile wenn man keine Treibgase oder PFS benutzt?

NB: Es gibt tatsächlich einen Nachteil, denn ohne PFCs lässt sich keine Ölabweisung erzielen. Aus Outdoorsicht gibt es aber keine Nachteile. Wir könnten nicht weltweit Marktführer im Bereich Outdoor-Pflegemittel sein, wenn es einen Nachteil gäbe. Technisch gibt es faktisch einen Nachteil, aber praktisch ist es für den Outdoor-Nutzer kein Problem. Wenn Du einen speziellen Wollanzug für Polizisten herstellen willst und die haben Bedenken wegen Molotow-Cocktails oder ähnlichem, dann wäre absolut fantastisch, wenn Du eine starke Ölabweisung hast. Für alle, die raus in den Regen gehen, ist es kein Problem.

RSB. Eines Deiner Lieblingszitate lautet „Ich habe es noch nie Öl regnen gesehen“

NB: Das stimmt, wobei ich sicher bin, dass es Orte gibt, wo es Öl regnet.

RSB: Es gibt eine ganze Reihe Firmen, die behaupten der Schritt von C8 auf C6 sei umweltverträglich. Ist das ein guter Kompromiss oder ein schlechter Witz?

NB: Weder noch. Alle PFCs, egal ob kurzkettig oder langkettig sind in der Umwelt persistent. Der Hauptgrund für den Wechsel ist, dass es für C6 bislang weniger Beweise gibt, dass sie schädlich sind, weil sie erst so kurz benutzt werden. PFCs sind dauerhaft und reichen sich in der Umwelt an, weil sie sich nicht zersetzen oder abbauen lassen. Jüngste Studien haben gezeigt, dass unterschiedliche Kettenlängen sich beim Menschen in unterschiedlichen Organen akkumulieren. Die bisherigen Tests haben sich auf Blutwerte konzentriert, weil C8 sich im Blut absetzt. C6 setzt sich aber im Gehirn fest. C6 ist also auch eine ernsthafte Sache.

RSB: Wir sollten komplett weg von PFCs. Ist das überhaupt möglich?

NB: Ja ist es. Die Outdoorindustrie braucht keine PFCs.

RSB.: Wie lang würde ein PFC-Aussteig dauern?

NB: Das ist schwierig zu beantworten. Wenn die Überzeugung da ist, dass man wirklich aussteigen will, dann dauert es circa zwei Jahre bis neue Kollektionen im Handel sind. Dazu noch zwei Jahre bis alte wirklich weg sind. Und dann ist noch das Problem der PFC-Verunreinigungen. Aber die Überzeugung ist noch nicht mal überall da. Vor allem amerikanische Marken verharmlosen noch die PFCs, deutsche und skandinavische Firmen sind da deutlich weiter.

RSB: Wenn wir also von Pruduktzyklen von drei bis vier Jahren reden, dann müssten Firmen, die heute sagen sie wollen 2020 PFCfrei sein schon angefangen haben mit der Abschaffung der PFCs?

NB: Richtig.

RSB: Passiert das denn oder ist das mehr Rhetorik?

NB: In manchen Firmen wird da tatsächlich dran gearbeitet. Häufig gibt es aber zwei Seiten zu dem Thema. Einerseits gibt es einige – und das ist den den USA sichtbarer als anderswo – Leute, die sagen PFCs sind eigentlich kein Problem, man müsse da nichts unternehmen, alles ist unter Kontrolle, der Verbraucher fragt überhaupt nicht nach PFC freien Produkten. Das ist einen Botschaft, die immer wieder durchkommt.  Andererseits gibt es Firmenchefs und Leute aus Entwicklungsabteilungen, die permanent fordern „her mit PFC freien Produkten“. Das ist schwer miteinander in Einklang zu bringen. Grundsätzlich gibt es das Wissen, dass PFC frei kommen muss. Ebenso gibt es Befürchtungen, dass es das Geschäft schädigt, wenn es zu schnell geht.

RSB: Das erste was ich je über Nick Brown gehört habe, da kannte ich Dich noch nicht, war, dass Nick ein elender Quertreiber und Qerulant sei. Heute wissen wir, das Vieles was Du gesagt hast, absolut richtig war. Wechselt Dein Image gerade?

NB: Das ist aber sehr nett von Dir..

RSB: Du glaubst also nicht, dass sich Dein Ansehen gewandelt hat?

NB: Wir haben immer schon andere Ideen als der Mainstream vertreten und ich werde sicher heute auch noch als Quertreiber gesehen – und die, die für mich arbeiten auch. Aber es kommt auch auf die Perspektive an. Umweltbewußtsein ist unterschiedlich verankert. Das ist einer der Gründe, warum ich weiterhin versuche Deutsch zu lernen, weil ich immer wieder feststelle, dass das Umweltbewußtsein in Deutschland, der Schweiz oder Österreich viel besser verankert ist als in England oder Amerika. Das Umweltbewußtsein in Europa ist hoch, in Großbritannien so mittel und in den USA am tiefsten. In Zentraleuropa hört man mir zu, in England und Amerika bin ich wahrscheinlich noch immer ein Querulant für meine Einstellung zum Thema Umwelt.

RSB: Das hört sich aber doch an, als ob es gut sei, ein Querulant zu sein.

NB: Das eigentliche Problem liegt darin, dass man innerhalb der Wirtschaft, innerhalb des Handels nicht schlecht über andere Leute reden sollte, die auch in dem Bereich arbeiten. Das ist ein Teil des Kodexes. Mein Problem war und ist, dass es in der Industrie einige Leute gab und gibt, die Sachen so machen, wie ich sie für grundfalsch halte. Was mache ich also? Wenn ich also Sachen anders, richtiger mache und natürlich darüber rede, dann breche ich den Kodex, weil ich den Finger in die Wunde lege. Das ist ein Problem. Zum Glück, und da bin ich absolut erfreut darüber, muss ich das heute nicht mehr sagen, weil es heute Leute gibt, die das für mich tun, und nicht nur für mich, sondern, weil es richtig ist. Heute, in einer Situation in der Greenpeace involviert ist, kann ich meine Klappe halten und sie aufzeigen lassen, was in der Branche falsch läuft.

RSB: Bei aller Arbeit und allem Zeitmangel hat eine Firma Dir nicht gereicht. Warum hast Du angefangen Bekleidung zu produzieren?

NB: Das war eigentlich eher ein Unfall. Pflege- und Imprägniermittel herstellen heißt immer nicht-funktionierende Konzepte anderer zu reparieren. Das hatte ich satt. Also überlegte ich, wie man ein Bekleidungssystem entwickeln könnte, das dauerhaft funktionell bleibt und lange hält. Wir produzierten ein paar Muster und gaben sie raus zum Testen. Eine Journalistin war so begeistert, dass sie einen Artikel schrieb. Auf diesen Artikel hin erhielten wir 300 Bestellung für ein Produkt, das es nicht gab. Das war der Anfang von Páramo.

RSB: Auch hier hast Du eine Sache revolutioniert: Ein wasserdichtes und atmunsgaktives System, das ohne Membran auskommt. Wie geht das?

NB: Das ist nicht einfach zu erklären. Ich versuche es mal mit zwei Vergleichen. Eines sind Dächer. Dächer sind nie komplett abgedichtet. Sie bestehen aus einem System von Dachziegeln, die übereinander lagern und Dich in dem Haus komplett trocken halten, weil das Wasser an ihnen herunterläuft. Das System mit den Dachziegeln ist nicht sehr weit von unserem Materialsystem entfernt, das wir entwickelt haben. Wir müssen nur sicher sein, dass die Nässe permanent vom Körper weg gebracht wird. Der Grund warum es das Dachziegelsystem gibt, ist – ähnlich wie bei Bekleidung auch –  dass es hoch atmungsaktiv sein muss. Die Feuchtigkeit im Haus muss aus dem Haus heraus können, weil das Haus sonst schnell feucht und schimmelig würde. Das Dach mit den Dachziegeln ist nicht völlig abgedichtet. Es gibt hier keine Plastikfolie auf dem Dach.

Jetzt zum zweiten Vergleich: Wenn jemand ein tiefes Loch in den Boden gräbt, hört man fast immer daneben eine Pumpe arbeiten, die das Wasser abpumpt, damit man das Loch überhaupt buddeln kann. Man kann das Loch nicht mit einer Folie auskleiden um das Wasser weg zu halten, mann muss pumpen und man hat ein trockenes Loch, weil man das Wasser wegpumpt und nicht weil man ein wasserdichtes Loch gegraben hat. Das Analogy-Konzept funktioniert ähnlich. Solang Du das Wasser schneller und permanent weg von Dir bringst als es kommen kann, bleibst Du trocken. Ein völlig neuer Ansatz.

RSB: Wie wasserdicht ist das im Sinne von Wassersäule?

NB: Wassersäule funktioniert hier nicht. Wir reden von einem Regenturm mit 1,5 cm Regenwasser die Stunde für fünf Stunden und sie bleibt trocken. Das schaffen wasserdichte Jacken kaum, mit unserem System klappt es aber. Ich musste das irgendwie zeigen und deshalb haben wir mit der Universität Leeds diesen Regenturm entwickelt. Heute benutzen viele Firmen den Regenturm für ihre Produkte.

RSB: Was passiert wenn zum Beispiel durch Rucksackträger mehr Druck auf den Schultern erzeugt wird?

NB: Druckpunkte verstärken wir durch eine zusätzliche Materiallage. Es gibt zusätzlichen Schutz für Jacken mit denen man einen Rucksack trägt. Das funktioniert gut.

RSB: Zurück zu den Dachziegeln. Wie und wohin fließt das Wasser? Auf der Außenseite der Jacke oder läuft es innen und tropft unten raus?

NB: Das ist interessant, weil es darauf ankommt, ob es regnet oder nicht. Analogy hat immer zwei Lagen: Eine komplett winddichte äußere Lage und eine innere Lage, die eigentliche Pumpe. Wenn es regnet, läuft die Nässe außen herunten und auch etwas zwischen den Lagen. Wenn man Kondensnässe innen hat, dann zieht der Regen und die Luftbewegung die Kondensnässe aus der Jacke raus. Das kann man zeigen wie das funktioniert. Wenn es trocken ist und man hat Kondensation, weil man schwitzt, dann läuft die Nässe zwischen den Lagen runter und tropft unten aus der Jacke raus. Man muss sich aber schon sehr anstrengen, wenn man das sehen will. Aber es passiert tatsächlich.

RSB: Was passiert, wenn es warm ist?

NB: Unsere Jacken sind schon etwas dicker, deswegen haben wir extrem gute Ventilationsmöglichkeiten entwickelt um abzukühlen. Das ist schon mal wichtig. Der Pumpeffekt ist aber unabhängig von einem Temperaturgefälle. Analogy funktioniert auch bei Wärme und hoher Luftfeuchtigkeit, während Membranjacken hier aufhören zu funktionieren oder den Feuchtigkeitstransport sogar umdrehen.

RSB: Kann man mit Analogy Jacken auch für höhere Temperaturen mit weniger Isolation herstellen?

NB: Wir haben auch Jacken mit weniger Isolation, damit das System aber funktioniert, braucht man zwei Lagen. Die können aber separat sein. Das erhöht die Vielseitigkeit. Wir haben ganz dünne winddichte Außenjacken und passend dazu dünne Fleece. In Kombination funktionieren sie als Analogy System.

RSB: Das ist aber nicht der einzige Unterschied Deiner Bekleidung zum Mainstream. Du lässt auch anders produzieren. Du bist der einzige Hersteller im Outdoorgeschäft, der mit einer Stiftung zusammenarbeitet und dort produzieren lässt. Wie kam das? 

NB: Richtig. Ach das war ein weiterer Un- beziehungsweise Zufall. Grundsätzlich, und das zeigt, wie die Firma begann, gab es eine Nachfrage nach unserem Produkt und wir mussten jemanden finden, der das herstellen konnte. Zuerst versuchten wir es in England selbst, aber das waren ganz schön komplizierte Jacken mit vielen Arbeitsstufen. Wir brauchten also eine Alternative und aus Familiengründen blickte ich nach Lateinamerika. Eher zufällig fand ich dieses Stiftungsprojekt, wobei wir das anfänglich nicht wussten. Wir hatten Kontakt mit einem Kerl, der sagte, er habe freie Nähkapazitäten in einer Fabrik. Er behauptete, es sei seine Fabrik. Wir schauten uns die Fabrik an und merkten auf einmal, dass die Fabrik Teil eines Projektes war, Frauen von der Straße und aus der Prostitution zu bekommen. Der Mittelsmann, der uns glauben lassen wollte, ihm gehöre die Fabrik war dann ganz schnell weg und wir kamen mit den Leuten ins Gespräch, die das Projekt leiteten. Nach wenigen Wochen waren wir so fasziniert von den Menschen und dem Projekt, dass wir da einfach hängen geblieben sind. Jetzt sind wir über 25 Jahre dort und können und wollen auch gar nicht mehr weg.

RSB: Aber man muss es letztlich doch auch wollen. Es gibt sicher viele Firmen, die von sozialen Projekten hören und dennoch weiterziehen. Bist Du nicht nur Umweltaktivist, sondern auch Sozialarbeiter?

NB: Jetzt weiß ich nicht, wie ich darauf reagieren soll.

RSB: Also auch noch zu bescheiden...

NB: Nein, ich hatte einfach Glück. Das Geschäft mit dem ich ursprünglich anfing, also mit Nikwax, ist ein sehr gutes Geschäftsfeld. Es ist ein sehr profitables Geschäft und es ist ein Geschäft, mit vielen Wiederholungstätern. Kunden, die mit Deinem Produkt zufrieden sind, kaufen wieder, weil es ein Verbrauchsprodukt ist. Es ist ein sehr gutes, solides Geschäft, das einem ein zuverlässiges Einkommen beschert. Bekleidung ist nicht so zuverlässig, vor allem wenn Du was herstellen willst, was ewig hält. Dank Nikwax konnte ich also Sachen machen, zu denen ich sonst nicht in der Lage gewesen wäre. Ich hatte das Privileg, dass ich was erreichen konnte jenseits eines Produktionprozesses in dem ich einfach produzieren ließ.

RSB: Ist es komplizierter in einer Stiftung produzieren zu lassen. Welche Probleme gab es, die es sonst nicht gibt?

NB: Ich glaube das größte Problem mit dem wir fertig werden mussten, war in den Köpfen der Leute. Wir waren häufig mit Meinungen konfrontiert, die sagten, unsere Produkte seien Produkte geringerer Qualität, weil wir in einer Stiftung produzieren ließen. Das ist nicht der Fall. Wir haben das Problem gelöst indem wir die ganze Produktion ISO 9001 zertifiziert bekommen haben. Die Stiftung war eine der ersten kolumbianischen Firmen, die ein richtiges Qualitätsmanagement umsetzte mit einem Qualitätszertifikat nach europäischen Standards. Wir haben CadCam, also Computer gesteuertes Design eingeführt. Wir arbeiten mit dem gleichen CadCam in unserer Zentrale in England wie in Kolumbien. Ein großes Problem ist der hohe Grad der Verpflichtung, die wir uns selbst auferlegt haben. Die Währungsschwankungen in Kolumbien sind extrem gewesen und wir wollten natürlich nicht wegen irgendwelchen Währungsproblemen den Standort wechseln und das Projekt hängen lassen. Ich glaube, das war das größte Problem überhaupt.

Auf der Positivseite können wir aber auch feststellen, dass der Einsatz der Menschen in dem Projekt extrem hoch ist. Der Wille, die eigene Arbeit richtig gut zu machen ist unglaublich hoch. Die geben immer das Allerbeste, immer. Der zweite Vorteil liegt in der ungeheuren Flexibilität die wir haben. Wir können innerhalb kürzester Zeit Produktionsabläufe ändern und Ideen umsetzen. Das ist extrem gut. Wir haben hier tatsächlich einen produktionstechnischen Vorteil.

RSB: Die 1990er und Nullerjahre in Kolumbien waren sehr unruhige Zeiten mit vielen, auch politischen Problemen durch die Aktionen der revolutionären Kräfte und den Reaktionen der Paramilitärs und des Militärs. Die Arbeit in einer Stiftung war sicher auch ein persönliches Risiko. Hast Du oder die Stitung phasenweise im geheimen gearbeitet?

NB: Im geheimen? Absolut nicht. Nie. Nichtsdestotrotz es gab Phasen, wo es besonders schlimm war – und das war so vor 12, 15 Jahren mit vielen Entführungen und politischen Morden – wo ich zu meiner eigenen Sicherheit meine Besuche in der Produktion nie ankündigte. Das wussten dann in der Leitung der Stiftung eine, höchstens zwei Personen. Es gab auch ein paar Sicherheitsvorkehrungen. Ich habe mich nie fahren oder abholen lassen, weder vom Flughafen noch, wenn ich irgendwo in den unglaublich schönen Landschaften Komlumbiens wandern wollte. Ich habe immer einen Rucksack aufgesetzt und habe einen Bus genommen. Unternehmer in Kolumbien fahren nicht Bus. Das Risiko aus einem Bus gekidnapped zu werden war extrem gering, wogegen das Risiko aus einem Auto mit Fahrer gekidnapped zu werden ziemlich hoch war. Innerhalb der Fabrik, der Stiftung gab es aber nie Probleme und keinerlei Risiko. Die Menschen mit denen ich zusammengearbeitet habe, haben mich absolut unterstützt und mich gut geschützt – nicht durch Waffen oder vergleichbarem, aber dadurch, dass sie sich um micht gekümmert haben. Das ist viel wichtiger.

RSB: Du hast Dich aber auch um viel Leute gekümmert. Du hast Frauen dazu verholfen ein normales Leben anzufangen, überhaupt ein normales Leben zu führen. Lässt sich nach 25 Jahren das zu einer Zahl zusammenfassen?

NB: Nein und ja. Als wir anfingen haben da 20 Frauen in der Fabrik gearbeitet. Heute sind es weit über 200. Aber es sind nicht nur die reinen Arbeitsplätze, weil das Projekt auch ausbildet und die kolumbianische Betriebe rekrutieren gerne unsere Näherinnen für ihre Betriebe. Auch viele andere Sachen sind passiert. Eine Hauskooperative mit zurzeit über 100 Häusern, die den Frauen gehören. Es sind kleine Häuser, aber in sehr guter Qualität. Und es gibt eine signifikante Anzahl von Kindern, die in das Projekt hineingeboren wurden und dort in den Kindergarten und zur Schule gehen konnten – was früher unmöglich war. Die sind jetzt auf Universitäten oder arbeiten schon als hochqualifizierte Kräfte. Die Kinder der Frauen haben auch von dem Projekt profitiert, wie, glaube ich, die kolumbianische Gesellschaft als Ganzes. Ohne das Projekt wären die Kinder sehr anfällig gewesen und wären womöglich in die Kriminalität abgedriftet. Stattdessen haben sie positive Erfahrungen gemacht. Viele positiven Erfahrungen, die sie später in eigenen Familien weitergeben können. Viele tausend Personen haben profitiert und profitieren von der Arbeit dieser Stiftung.

RSB: Ist das ein Grund um Páramo-Bekleidung zu kaufen, weil man mit Einkaufen doch was bewirken kann?

NB: Naja ich hoffe, die Menschen kaufen Páramo-Bekleidung zu vorderst, weil die Sachen funktionieren. Das steht doch über allem. Kunden suchen Sachen, die gut funktionieren und einen Gegenwert haben. Viele Jahre haben wir über das Projekt in Kolumbien weder gesprochen noch geschrieben. Wir wollten, dass die Menschen unsere Sachen kaufen, weil die Performance gut ist. In England sind wir mittlerweile gut etabliert. Aber offensichtlich gibt es etwas anderes, was auch wichtig ist. Neulich kam ein bekannter britischer Outdoor Fotograf auf mich zu und sagte: „Weist Du, wenn ich jemanden mit einer Jacke mit Páramo-Logo sehe, denke ich automatisch, das muss eine sehr nette Person sein“. Das ist doch ziemlich erstaunlich, oder? Es gibt eine Community, Menschen, die ein anderes Bewusstsein an den Tag legen, die unsere Sachen gut finden und das was wir tun auch gut finden und uns deswegen unterstützen.

RSB: Wie ist es, das Gefühl etwas zu machen und dabei die Welt ein kleines Stück besser machen zu können?

NB: Es ist unglaublich. Vor zwei Wochen, als ich das letzte Mal in Kolumbien war, waren da sieben oder acht Frauen, die schon seit 20 Jahren in dem Projekt sind und ich habe mit ihnen in der Kantine zu mittag gegessen. Das war fantastisch und es berührt mich, weil jede von den Frauen eine eigene Geschichte hat, was sie erlebt haben in ihrem früheren Leben und wie sie in das Projekt kamen. Sie sind so enthusiastisch, das ist schier unglaublich.

RSB: Zurück zu Outdoor. Wie siehst Du die Zukunft des Outdoorgeschäftes?

NB: Das ist eine seltsame Mixtur aus extrem kommerziell werden auf der einen Seite und auf der anderen Seite Menschen, die versuchen in irgendweiner Form ethische und nachhaltige Komponenten bei Outdoor umzusetzen. Ich hoffe, dass die ethischen und nachhaltigen Prinzipien die Oberhand erzielen. Die meisten Menschen sind doch in das Outdoorgeschäft eingestiegen, weil sie Outdoor und das Draußensein lieben. Das ist doch der wichtigste Motivator. Das ist der Grund, warum das Outdoorgeschäft so ein tolles Business zum arbeiten ist und ich hoffe sehr, dass das so bleibt.

RSB: Outdoor entwickelt sich immer breiter. Manchmal hat man das Gefühl, dass es weg geht von Outdoor, das ganze Urbane gerede. Ist das ein Problem?

NB: Auf alle Fälle. Es gibt einerseits ein wachsendes Umweltbewusstsein und andererseits gibt es ein Problem mit immer mehr jungen Menschen, die weniger raus gehen in die Natur und weniger Bewusstsein entwickeln. Diese Idee, die Interaktion des Bewusstseins und der Outdooraktivität ist aber enorm wichtig und muss immer zusammengehören. Das braucht aber Arbeit, Pflege und auch Unterstützung.

RSB. Wie sieht der perfekte Tag für Nick Brown aus?

NB: Ich hatte vorgestern einen ziemlich perfekten Tag in Lindau. Wir konnten Fahrräder mieten und sind am See und in den angrenzenden Bergen herumgeradelt. Das war ein guter Tag.

RSB: Vielen Dank für das Gespräch.