In Decken gemummelt haben wir es uns gemütlich gemacht. Meine Frau liest, meine Tochter hat den Fernseher mit einer DVD gefüttert und ich studiere eine Landkarte. Ganz besinnliche Vorweihnachtszeit!? Etwas will aber nicht passen. Während meine Frau von Palmen, Strand und 28°C schwärmt und meine Tochter fragt, ob wir auch einen Tucan sehen werden, wandert mein Blick immer wieder zum Cerro Chirripó. Wir planen unseren Familienurlaub in Costa Rica. Und ich meinen Ausflug auf den mit 3.820 m höchsten Berg des Landes…

Samstag, 13. Februar 2016: Meine Frau und meine Tochter haben mich mit dem Auto nach San Isidro de General gebracht, wo ich den Bus ins 18 km entfernte San Gerardo de Rivas nehme. Am Ortseingang des kleinen Bergdorfes muss ich mich im Büro der Nationalparkverwaltung unter Vorlage einer bereits von Deutschland aus erteilten Genehmigung registrieren lassen. Danach wandere ich ans andere Dorfende zum urgemütlichen Gästehaus Casa Mariposa, das nur etwa 40 m vom offiziellen Startpunkt der Wanderung zum Cerro Chirripó entfernt liegt – der perfekte Ort zum Übernachten. Am nächsten Morgen mache ich mich um sechs Uhr auf den Weg. In 24 Stunden will ich zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel des Cerro Chirripó über der Cordillera de Talamanca stehen. Der Startpunkt ist unübersehbar: ein Holzschild trägt die Aufschrift „El Termómetro“ und informiert über die aktuelle Höhe (1.520 m), daneben eine Stele aus Stein mit der Angabe 0 km. Übernachten werde ich in gut 14 km im Chirripó Base Camp Los Crestones auf 3.393 m Höhe.

Kreative Wegpunkte zur Orientierung

NULL – ist ja schon gut, denke ich und ziehe den Rucksack fester. Es geht doch nichts über einen frühmorgendlichen Aufmerksamkeitserreger! Die Aufstiegsroute zeigt auch sofort, dass aus einem entspannten „Erst-mal-ein-bisschen-Einlaufen“ nichts wird. Es geht bergauf und zwar sofort! Langsam und gleichmäßig wandere ich am Waldrand entlang, die Häuser von San Gerardo verschwinden unter einem grünen Blätterdach. Ein Schild begrüßt mich bei Kilometer 1: „Los Monos“ – die Affen. Von Affen aber keine Spur. Bis zum Base Crestones ist jeder Kilometer mit Schild und Stele markiert. Bei der Namensgebung war die Nationalparkverwaltung sehr kreativ. So soll es einen Punkt namens „Barbas de Viejo“ (Bärte alter Männer) geben. Ein Sammelpunkt für verlaufene Männer? Verlaufen kann man sich hier eigentlich nicht, die Route ist immer deutlich erkennbar und Abzweigungen gibt es fast keine. 

Der Weg wird schmaler, der Wald dichter, die Geräusche intensiver. Letztere bestehen aus vielen Vogelstimmen. Mal ist es ein zartes Zwitschern, mal ein helles Trällern, dann wieder ein hysterisches Kreischen. Wie passend der Name von Kilometer 3: „El Jilguero“ – der Stieglitz (auch Distelfink). Er steht für Ausdauer und Beharrlichkeit und ist in Deutschland „Vogel des Jahres 2016“. Ich wische mir den Schweiß aus dem Gesicht, nehme einen Schluck Wasser und deute das Alles als gutes Omen. Kurz darauf betrete ich den Chirripó Nationalpark, in dessen Nebelwäldern der vom Aussterben bedrohte grün- und scharlachrot gefärbte Vogel Quetzal lebt. ...

Der Autor:
Thorsten Hoyer – beim nächsten mal berichtet er uns vom Küstenwanderweg Camino dos Faros in Galizien.

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