Auslöser meiner Schockwellen ist nicht der Schweizer Dialekt, nicht der durchlöcherte Käse, nicht die Aufhebung des Schweizer Bankgeheimnisses – es ist der Wechselkurs. Gewohnt, im benachbarten westlichen Ausland mit dem guten alten Euro zu bezahlen, habe ich erst im letzten Moment daran gedacht, Geld umzutauschen. Die alte Faustregel war gewesen: Der Euro hat den anderthalbfachen Wert des Franken. Und nun werden mir in Zürich für 50 Euro genau 54 Franken ausgezahlt. Fast Eins zu Eins! Das erste Mal bekomme ich eine Ahnung davon, wie schlecht es um den armen Euro steht. Nun ja, Augen zu und durch, ich bin ja auch nicht zum Shopping zu den Eidgenossen gefahren, ich will wandern, klare Sache.

Von Zürich fahre ich mit der stets pünktlichen Schweizer Bahn ins Appenzeller Land. Beim Blick aus dem Zugfenster sehe ich nur Grün. Die Schweiz ist ein unwahrscheinlich weiden- und wiesenreiches Land. Nicht alles so zugewaldet wie in Deutschland. Nichts gegen Bäume, aber so eine sattgrüne Wiese hat einfach eine ungeheuer augenschmeichelnde Wirkung.  Ich sehe Wiesen, Wiesen, Wiesen: an steilen Berghängen, um Hochhäuser herum, an Fabrikhallen, rund ums Erotik-Center. Es grünt so grün in den Kantonen.

In Wasserauen, der Endstation meines Zuges, treffe ich mich mit Werner. Werner ist mein Bergführer für unsere Tour auf den höchsten Berg des Appenzeller Landes, den Säntis. Normalerweise gehe ich alleine, vertrauend auf Gottes Hilfe, meinen Orientierungssinn und die Wanderkarte. Aber bei richtigen Bergen – und der Säntis ist mit 2.502 Metern ein richtiger Berg – verlasse ich mich auf Leute, die das Terrain kennen. Werner hat den Säntis schon länger nicht mehr bestiegen, kennt ihn aber sehr gut. Hauptberuflich ist Werner Klempner, Ortsfremde auf Berge zu führen, macht er als Hobby. Die Berge sind seine Leidenschaft, die ihn auch schon auf 7.000er in Kirgistan geführt hat. Werner warnt mich: Der Säntis ist ein Berg, der nicht zu unterschätzen sei. Klimatisch, also quasi gefühlt,  kann man – so Werner – auf die tatsächliche Höhe noch einmal 800 Meter draufschlagen. Mindestens. Das liegt an der exponierten Lage des Säntis als höchster Berg des Alpsteinmassivs, einer den Alpen vorgelagerten Gebirgskette. Man kann sagen, dass wir eigentlich einen ordentlichen 3.000er besteigen, meinen ersten übrigens.

Da Wasserauen auf 868 Meter liegt, ist unser Tagesprogramm ganz schön anspruchsvoll: 1.700 Höhenmeter sind nicht von Pappe. Hinter Wasserauen geht es erst mal steil hoch, die Wege sind zum reißenden Gebirgsbach hin mit Seilen abgesichert, denn die gleichen Wege werden von den Rindern beim Almauftrieb und Almabtrieb benutzt. Und Rinder sind so doof, dass sie die weiß-roten Wegmarkierungen nicht erkennen können.

Ganz plötzlich hat mich das Thema „Wiese“ wieder eingeholt. Denn der ganze Aufwand mit den Rindviechern wird betrieben, nur damit diese genau neun Wochen auf einer Alpwirtschaft grasen können. Länger geht das nicht, sonst wäre die Wiese hinüber. Nach den neun Wochen kommen die Kühe auf andere Wiesen. Es gibt Voralpwiesen, Hauptwiesen, Spätwiesen, eine rechte Wiesenwirtschaft ist das. Alles viel komplizierter als im deutschen Mittelgebirge, wo es mehr Platz gibt. ...