Die Südrhön
Fränkischer Balkon
Der Süden der Rhön hat es in sich. Seit über 1.200
Jahren wachsen entlang der fränkischen Saale bei
Hammelburg Trauben. Während oben am
Kreuz-
berg
, am Beginn eines Kreuzweges, der über 294
steile Stufen vorbei an 14 Bildkapellen zum 928 m
hohen Gipfel des heiligen Berges der Franken führt,
die Franziskanermönche süffiges Bier brauen. In
direkter Nachbarschaft liegen die beiden Höhen-
züge der Schwarzen Berge, die unter Naturschutz
stehen und Höhen von über 830 m erreichen. Sie
verdanken ihr Attribut dem anthrazitfarbenen bis
blauschwarzen Basalt an der Oberfläche.
In der Südrhön sollten eigentlich, politisch korrekt,
zwei Kultur- und Sprachräume aufeinandertreffen.
Etwa als Grenze zweier Königreiche der Kloßzu-
bereitung. Dort die Kartoffelklöße (Thüringen) und
hier die Semmelklöße (Bayern). Ob beim Bier und
Wein, zwischen Bädermeile und Blocksteinmeer,
bei bayerischen, hessischen und thüringischen Di-
alekten. Nichts von allem, alle Rhöner fühlen sich
dem Fränkischen zugehörig, folglich lieben sie ihre
Klöße auch mit reichlich Kartoffel.
Bleibt die feurig-heiße Entstehungsgeschichte.
Den Basaltaufschlüssen sei Dank. Lindenstrumpf,
Pilsterfelsen, die Langen Steine bei Riedenberg –
Zeugnisse der vulkanischen Vergangenheit, die an
Zyklopenwerk oder Titanenarbeit erinnern. Welch
Kontrast liefern dazu die kunstvoll gemeißelten
Bildstöcke in den Feldern oder die Burgen und
Schlösser, wie die mächtige Salzburg oberhalb von
Bad Neustadt, Burg Botenlauben in Bad Kissingen,
Schloss Maßbach bei Münnerstadt oder Schloss
Aschach in Bad Bocklet. Von der
Mottener Haube
reicht der Blick über den Dreistelzberg zur Platzer
Kuppe und hinein in das einst von Kelten besiedelte
Grabfeld – eine Wanderregion par excellence.
Die Hohe Rhön
Das Blicklabor
Höher geht es nicht. Jedenfalls in Hessen – und
in der Rhön natürlich auch. Die
Wasserkuppe
ist
mit 950 m das Maß des Gipfelvergnügens. Öst-
lich des Berges der Flieger erstreckt sich die Lange
Rhön von Bischofsheim bis Fladungen. Heidelstein,
Stirnberg und Ellenbogen statten das Kammgebirge
hier mit veritablen Wanderbergen aus. Ein Blickla-
bor erster Klasse.
Bischofsheim
, Ostheim v.d. Rhön
mit seiner gewaltigen Kirchenburg aus dem 15. Jh.
oder Kaltennordheim, wo man dem einst weit ver-
breiteten Hirtenwesen mit der Holzskulptur des
Berghirten von Erhard Dressler ein wunderschönes
Denkmal gesetzt hat.
Für die Hessen ist es die Hochrhön, für die Bayern
die Lange Rhön – gemeint ist das feurige Herz des
Rhöngebirges. Ein gewaltiger, vor Millionen von
Jahren erstarrter Magmaklotz. Heute ist das von
den Erosionskräften allmählich weich „geschliffene“
Basaltherz von wundervollen Bergwiesen, Mooren,
Blocksteinmeeren, windzerzausten Hutebäumen
und einem dichten Wanderwegenetz überzogen.
Wenn im späten Frühjahr und Frühsommer die Blü-
tenpracht ihren Höhepunkt erreicht, wenn die Som-
merbrise durch die hüfthohen Grashalme streicht
und brandungsgleiche Wellen von links nach rechts
durch die Hänge schiebt, dann ist nicht nur für sen-
sibilisierte Botaniker greifbar, was es heißt, in einem
Biosphärenreservat unterwegs zu sein. Mensch und
Natur sollen die in Jahrhunderten gewachsene Be-
ziehung möglichst pflegen und bewahren. Wundert
es da noch, dass die Bionade aus den Streuobstwie-
sen um Ostheim hier ihren Siegeszug durch Europa
begann? Ostheimer Leberkäse gefällig? Bayerisch-
klassisch? Mitnichten. Man besuche die herrlichen
Berghäuser, z. B. das
Würzburger Haus
, und genie-
ße einfach das alpenländische Feeling.
Vorderrhön und Kuppenrhön
Rhöner Kegelspiele
Man stelle sich vor, jede Kuppe ein erstarrter Vul-
kanschlot. Einst loderten aus der vorderen Rhön
und den sich anschließenden kegelförmigen Berg-
kuppen hunderte Feuerschlote. Spien Lava, schleu-
derten Geröll, Glutfetzen und gigatonnenweise
Asche in die Luft. Um die Hochrhön legt sich der
einstige Feuerring von West nach Ost.
Milseburger
Kuppenrhön
, Soisberger und Auersberger Kuppen-
rhön verlaufen Richtung Werra, bevor der turm-
bewehrte Pleß mit seinen 645 m den Blick auf die
thüringische Vorderrhön freigibt. Die Assoziation
einer Kegelbahn für spielwütige Zyklopen gipfelt
im sogenannten
hessischen Kegelspiel
mit neun
Kegelkuppen samt Kugel.
Die Rhön ist ein Sagenland, dass sich Riesen einst
beim Kegelspiel vergnügten, gehört dazu. Sagenhaft
ist gewiss die Milseburg. Einst siedelte ein Kelten-
stamm auf der 835 m hohen Basaltkuppe mit dem
umwerfenden Ausblick. Hörenswert ist die Sage
vom Riesen Mils, der mit dem Teufel im Bunde
stand und der dem beharrlichen Heiligen Gangolf
schließlich nur durch einen lupenreinen Suizid ent-
kam. An den Heiligen erinnern die Gangolfskapelle
und die Kreuzigungsgruppe auf dem Gipfel.
Kein Märchen ist freilich die deutsch-deutsche Tei-
lung. Mitten durch die Kuppenrhön verlief einst der
Todesstreifen. Point Alpha bei Geisa, der einstige
Horchposten der NATO vor dem Eisernen Vor-
hang im sogenannten Fulda Gap, gilt als spannen-
der Erinnerungsort. In Tann, einem von Stadtmau-
ern und -toren umhegten Kleinod der Rhön, gibt es
drei Ganerbenschlösser und ein sehenswertes Frei-
lichtmuseum. Wer dann von der Pleß in Richtung
Thüringer Wald blickt, erkennt bereits das Sole-
Heilbad
Bad Salzungen
als pulsierendes Herz der
Vorderrhön an der Werra.
Fotos, wenn nicht anders gekennzeichnet: Holger Leue
Foto: Arnulf Müller